Rundbrief 3/2000

Viermal das Gleiche und doch immer etwas anderes:
Visuelle Helligkeiten

Kurzfassung eines Vortrags von W. Quester am 20. Mai 2000 in Hartha

Vor über 2000 Jahren hat Hipparch in seinem Sternkatalog die Helligkeiten der mit freiem Auge sichtbaren Sterne in sechs Größenklassen eingeteilt. Diese von ihm empfundene und erfundene Skala ist noch heute Grundlage astronomischer Helligkeitsmessungen; wir kennen sie als visuelle Helligkeit mv oder mvis. Erst 1857 hat Pogson sie auf eine mathematische Basis gestellt. Ihr ehrwürdiges Alter zeigt sich daran, dass großen Helligkeiten kleine, sogar negative, Zahlen zugeordnet sind und umgekehrt.

Das menschliche Auge war der erste Empfänger, mit dem astronomische Fotometrie betrieben wurde. Zwei Arten lichtempfindlicher Organe sorgen dafür, dass wir sehen. Sie sind für Wellenlängen von etwa 380 nm bis 760 nm empfindlich:
Zäpfchen ermöglichen das Farbsehen am Tage. Stäbchen sind wesentlich empfindlicher. Sie ermöglichen das Sehen bei Dunkelheit, lassen uns aber nur Grautöne erkennen (Abb. 1).


Abb. 1: Abhängigkeit der relativen Empfindlichkeit des Auges von der Wellenl= änge für Zapfen (Cone vision) und Stäbchen (Rod vision). Aus [1]

Die unterschiedliche Empfindlichkeit der Augen für Licht verschiedener Wellenlängen lässt sich aus Abb. 2 besser erkennen. Dort sind die maximalen Empfindlichkeiten von Zapfen und Stäbchen auf 100 normiert. Sie liegen für das Tagessehen bei 555 nm, für das Nachtsehen bei 505 nm. Das sind Mittelwerte, denn die Augenempfindlichkeit ist nicht bei allen Menschen gleich.


Abb. 2: Erläuterung im Text

Besonders Beobachtern von Mirasternen ist der Wechsel von Tages- zu Nachtsehen unter der Bezeichnung PURKINJE-Effekt ein Begriff. Normalerweise sind auch beim Schätzen von Veränderlichen die Zäpfchen aktiv. Beobachtet man einen hellen Mirastern im Maximum mit einem kleinen Instrument, ist sogar seine rote Farbe erkennbar. Wird der Stern schwächer, kann es passieren, dass er nur noch mit indirektem Sehen erkennbar ist. Dann sind die Stäbchen in Funktion getreten und der rote Stern wird schwächer geschätzt als ihm zukommt. Wechselt man nun an ein größeres Fernrohr treten wieder die Zapfen in Aktion und man schätzt den Stern heller als im kleinen Instrument.

Mit Erfindung der Fotografie wurden Helligkeitsmessungen möglich, aber auch das Schätzen der Plattenschwärzung bot eine einfache Möglichkeit Sternhelligkeiten zu vergleichen. Fotoplatten waren anfangs aber blauempfindlicher als die Augen. Erst mit ortho- und panchromatischen Platten und Filmen gelang es, die Empfindlichkeit ins Rote zu erweitern. Damit ergab sich die Möglichkeit, die Empfindlichkeit der Zäpfchen nachzubilden. Das Ergebnis ist die photovisuelle Empfindlichkeitskurve [2], die in Abb. 3 der Empfindlichkeit der Zapfen gegenübergestellt ist. Sie führte zu photovisuellen Helligkeiten mpv.


Abb. 3: Tagessehen und photovisuelle Empfindlichkeit Ipv

Nach 1950 nahm die Elektronik einen ungeheuren Aufschwung. Fotomultiplier (auf deutsch Sekundärelektronenvervielfacher) mitsamt ihrem elektronischen Zubehör wurden an die Okularstutzen der Fernrohre geschraubt. Wieder waren sie im Wesentlichen blauempfindlich. Mit Filtern wurden astrophysikalisch oder messtechnisch wünschenswerte Spektralbänder eingegrenzt. Von den vielen Filtersystemen hat das von Johnson und Morgan [3, 4] erdachte UBV-System die weiteste Verbreitung gefunden. Sternhelligkeiten werden heute zumeist für seinen V-Bereich visueller Bereich katalogisiert. Die V-Empfindlichkeit zusammen mit der Empfindlichkeitskurve des Tagsehens zeigt Abb. 4.


Abb. 4: Tagessehen und relative Empfindlichkeit des V-Bereichs

Die V-Kurve mit ihrer Stufe bei 560 nm sieht etwas ungewöhnlich aus. Sie beruht auf den Originalwerten von Johnson, die ich mehrfach in der Literatur zitiert gefunden habe [5, 6]. Um visuelle und V-Helligkeiten miteinander zu vergleichen, müssen sie ineinander umgerechnet werden. Folgende Formel kann dazu benutzt werden [7]:

mv =3D V + 0,18 (B - V) (1).
Zur Bestimmung der visuellen Helligkeit aus dem V-Wert muss also auch der Farbindex B-V des betreffenden Sterns bekannt sein. Zudem ist der Koeffizient 0,18 als Mittelwert aus vielen Messungen mit einem zufälligen Fehler behaftet. Ich empfehle, das Ergebnis der Umrechnung auf zehntel Größenklasse zu runden. Für rote Sterne {(B-V) > 1,5}?wird die Formel sogar falsch.

Das UBV-System mit seinen späteren Ergänzungen (R =3D Rot, I =3D nahes Infrarot) ist auch für Amateure von Bedeutung, denn die spektralen Bänder sind so breit, dass schon kleine Fernrohre mit entsprechenden Filtern und modernen CCD-Kameras genügend Licht für Messungen empfangen. Als Filter empfehlen sich Glasfilter die nach den Vorschlägen von Bessell [8] aufgebaut sind. Die für BAV-Mitglieder 1998 angeschafften Filtersätze entsprechen Bessells Vorschlägen. Messungen im UBVRI bedingen allerdings ein Kalibrieren des Instruments an Standardsternen. Wie das gemacht werden kann ist in [9] beschrieben.


Abb. 5: Tagessehen und relative Empfindlich- keit des TYCHO VT

Seit wenigen Jahren ist ein weiterer visueller Spektralbereich von Bedeutung. Der Satellit HIPPARCOS lieferte mit seinem TYCHO-Experiment genaue Helligkeitsmessungen in einem blauen und einem visuellen Spektralband. Wiederum zwangen technische Gründe dazu, dass der visuelle Bereich, bezeichnet mit VT, mit keinem der anderen visuellen Bereiche übereinstimmt. Seine relative Empfindlichkeit zusammen mit dem Tagessehen zeigt Abb. 5.

Auch hier ist eine Umrechnung nötig, wenn aus VT-Werten V-Helligkeiten gewonnen werden sollen: Für ungerötete Sterne mit -0,2 < BT-VT < 1= ,8 kann man lt. Beschreibung des HIPPARCOS Katalogs vereinfacht schreiben

V =3D VT - 0,09 (BT-VT), B - V =3D 0,85 (BT - VT) (2, 3).
An einem Beispiel soll die Auswirkung verschiedener visueller Helligkeiten erläutert werden:
Die Helligkeitsangaben auf AAVSO-Karten beruhen auf alten Messungen. Sie stimmen nicht immer mit den Empfindungen der Beobachter überein. So fragt M. Munkaczy [10] nach dem Grund dafür, dass er einen Stern 10.1 bei W Cas eher schwächer sieht als einen 10.2. Die Antwort von B. Skiff verweist auf V-Helligkeiten und Farbindizes der beiden Sterne: Für den 10.1 gilt V = 10.19, B-V = 1.20 (also recht rot). Für den 10.2 gilt V = 10.41, B-V = 0,2 (eher weiß). Mit (1) erhält man für den ersten Stern mv = 0.41, für den zweiten Stern mv = 10.45. Beide Sterne sind für das durchschnittliche menschliche Auge praktisch gleich hell. Man kann vermuten, dass M. Munkaczys Augen etwas blauempfindlicher sind als der Durchschnitt, wenn er den zweiten Stern als heller empfindet.

Literatur:
[1] STERKEN Ch, MANFROID J.: Astronomical Photometry A Guide. Kluwer Dordrecht (1992)
[2] LANDOLT B=C3=96RNSTEIN: Astronomie und Astrophysik Bd VI/1, 2a, 2b. (19??)
[3] JOHNSON H. L., MORGAN W. W.: ApJ 114, 522 (1951)
[4] JOHNSON H. L., MORGAN W. W.: ApJ 117, 313 (1953)
[5] BUDDING E.: An Introduction to Astronomical Photometry, Cambridge Univ. Press (1993)
[6] PERSHA G.: A solid state photometer, IAPPP Comm. 2, 11 (1980)
[7] HALLET P. E.: JAAVSO 26, 139 (1998)
[8] BESSELL M. S.: CCD Astronomy, Fall 1995, S. 20
[9] QUESTER W.: BAV Blätter 15 (1999)
[10] MUNKACZY M., SKIFF B. A.: AAVSO discussion group (Sept. 1999)

Wolfgang Quester

Rundbrief 3/2000